Am Kanal 18

Bei dem kleinen Bäcker,
bei mir um die Ecke,
auf dem Weg zum Kanal,
ist die Zeit stehen geblieben.
Die Uhr im Außenbereich
zeigt seit Jahren
halb 9 an.
So ein bisschen aus der Zeit
gefallen.

So auch ich heute.
Im Kalender steht nichts für 2 Tage.
Hab mich extra nochmal
vergewissert.
Zeit für Urlaub
Zeit für den Kanal.
Und so tropft Kanalwasser
zwischen diese Zeilen.

Und, ist das schon Sommer,
wenn Dir die roten Ameisen
dreist auf die Waden pinkeln?
Und, Du nahezu eine volle Stunde
damit verbringst,
erfolgreich das fiese Jucken zu ignorieren.
Versuchst es mit Spucke,
aber wie so vieles
muss dies mental gelöst werden.

Währenddessen, auf den Wiesen
rauchen sie Haschisch.
Wird es irgendwann
wieder wie 68?
Und, in der Bravo
ein neuer Fragebogentest,
erreichst Du 33 Punkte,
bist Du ein „echter 68er“.
Tust Dinge wie
barfuß, nur in Badehose
vom Kanal zur nächsten Tanke zu laufen.
Nur,
um Dir eine 0,5l LibaCola zu kaufen.
In der Badehose
steckt Dein Portmanet mit dem Ausweis,
keine Gefahr!
Könntest Dich jederzeit ausweisen.
Wunderst Dich nur
über all die schönen jungen Menschen,
die den Sommeranfang genießen, mitten im Mai.
Geht das ?
Wirklich so einfach?
Während fast greise Alte mit Anhängern am Rad
mit Tüten beladen
nach Deinem Pfand spähen.
Ein Wert von 15 cent.
Mittelklasse unter den Pfandflaschen,
nicht mehr und nicht weniger.

Wiedermal währenddessen tippe ich leidenschaftliche Zeilen
an meine Liebste.
Dabei muss ich die Buchstaben auf der Tastatur
des alten Knochenhandys
mehrmals drücken,
um den gewünschten Buchstaben zu bekommen.
Demgegenüber, blutooth sei Dank,
bekomme ich eine Mixtour aus Sound.
Aggressives Gehiphoppe melachiert
von partyuntauglichem Eurodance
der Popper und VollzeitBWLer.
Die Punks um die Ecke,
da am kleinen Bauhügel
gröhlen das wirkliche, wahrhaftige Sein aus sich hinaus,
Saufen im Exzess.
Die Buchstabenfolge im Wort
erinnert mich an Exeltabellen.
Babylon klingelt an meiner Haustür.
Ja, ich bin registriert.
Hab mich ganz pflichtbewusst
umgemeldet
im Bürgeramt, einem irgendwie skurilen Ort.
Hab die Vertragsbedingungen des Zeitgeists im Selbstoptimierungswahn gelesen,
aber nicht akzeptiert.
Keinen „button“ gedrückt.

Drüben im Schatten,
macht ein penibles Pärchen ein Picknick.
Dabei zeitgemäß
Arbeitsteilung 50/50.
Sie bereitet den Tisch
er verdingt sich am Grill.
Die Szene könnte auch in den 50ern spielen,
nur, dass Er jetzt diesen modernen upperundercut trägt,
was wiederum an Adolfs Zeiten remenenziert.
Da denke ich lieber an das Geräusch meines uralt PCs beim Hochfahren.
Ich habe es ewig nicht gehört, weil ich ihn nicht benutzte,
aber es klingt immer noch
vertraut.