Buchrezension von der Initiatorin der Poetry Partys in Münster – Renate Rave-Schneider
Vor einigen Wochen wartete Münsters Lit-und Poetry-Szene ganz gespannt auf das Druck-Erzeugnis „Lyrikkeller“ , den man tatsächlich ab seinen Anfängen am Hansa-Ring zwecks Lauschen von Poetry Slams mit passender Music besuchen konnte, später auch an wechselnden Orten. Doch immer dabei war und ist Andi Substanz Markenzeichen: Eine klapprige Schreibmaschine, auf der dieser Substanz Texte auf Zuruf kreiert.
Das nun vorliegende Werk mit 122 Titeln aus der Feder von Andi Substanz plus Vorwortvon ihm spiegelt das Live-Poetry-Geschehen des Lyrikkellers exzellent wieder. Nehmen wir zum Beispiel den Text „Yin und Yang“: Besser ist das Innere des Zwingers in Münster nicht zu beschreiben: Die dunklen Schemen der Vergangenheit, „die grünen Büsche in den Zwischenräumen der Mauern, in denen Singvögel brüten“, Zitat von Seite 94. Andi Substanz ist ein politischer Mensch, ein begegnungs-orientierter Mensch mit Freude an sozio-kultureller Interaktion, das kommt in vielen seiner Texte zum Ausdruck. Er erhebt gar nicht erst den Anspruch geschliffene Lyrik zu formulieren und ist gerade deshalb klar, strukturiert und dennoch immer wieder überraschend.
Mit dem „Lyrikkeller vor Ort“ war er mehrfach im Zwinger, teilweise gemeinsam mit Gast-Autorinnen und betätigte auf seiner Schreibmaschine „Buchstabentasten gegen das Vergessen“, siehe Seite 104. Er saß mit seiner Apparatur auf dem noch menschenleeren Hamburger Rathausmarkt, worüber er schrieb: „Vereinzelt mümmeln sich Menschen herum. Einer ist sogar schon auf mich aufmerksam geworden. Resultat ist ein kleines Liebesgedicht für Iris. Zu einem Preis, der ungefähr dem Wert eines großen Kaffees in den Cafés dieser Stadt entspricht. Er ist also Akteur und Betrachter gleichzeitig, wie in so vielen Texten und das erzeugt einen gewissen „Chill“, man sieht sozusagen die Schwäne in den Fleeten der benachbarten Alster-Arkaden, man riecht förmlich den nächsten Passanten, der gleich bei ihm stehen bleibt.
Das, was er seine klapprige Schreibmaschine ausspucken lässt, spricht direkt die Sinne an, so in Amsterdamimpressionen, wo eine Dreijährige, auf ihrem gelben Kleid den grünen Schriftzug „Warrior“ trägt.Dieses Bild bleibt haften genauso wie die Jukebox in „Eine Liebe“, wo man zu Bob Marleys Musik Peace-Zeichen aufblitzen sieht.
Fotos, Zeichnungen; Karikaturen untermalen und unterstreichen das Geschriebene, von dem sich wirklich sagen lässt: Gelungen!
Von Renate Rave-Schneider, Begründerin der Poetry Parties in Münster 1996, Radio-Moderatorin und Produzentin im MFM Münster seit 2015 und seit 2018 Veranstalterin des Albachtener Bücher-Plausches…http://story-schatzkiste-rave-schneider.de/